Eine überörtliche Interessenvertretung sollte Strukturen vor Ort unterstützen
Christiane Bernshausen über ihr ehrenamtliches Engagement und wie eine gute Interessenvertretung auf kreisebene arbeiten könnte
Dieses Interview erscheint im Rahmen der Kampagne „#DeinRatZaehlt!“ und wurde vom Team des Projekts „Politische Partizipation Passgenau!“ geführt.
Für Christiane Bernshausen gehört soziales und politisches Engagement zu ihrem Alltag. Die 53-Jährige aus Dülmen leitet die Regionalgruppe Münsterland der Vereinigung „PRO RETINA“ und ist dort selbst in der Beratung aktiv. Als Beisitzerin im Vorstand der Westdeutschen Bibliothek der Hörmedien (WBH) setzt sie sich für das kostenfreie Angebot von Hörmedien für blinde-, seh- und lesebehinderte Menschen ein. Politisch ist sie in ihrem Wohnort Dülmen in der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen aktiv.
Drei Jahre hat sie sich außerdem in der KICS – der Kreisarbeitsgemeinschaft Interessenvertretung Coesfeld Selbsthilfe Behinderter und chronisch Kranker sowie Ihrer Angehörigen engagiert. Nachdem hier die Mitgliederzahl im Laufe der Zeit stark nachließ und somit die Interessenvertretung auf Kreisebene immer schwieriger wurde, wird jetzt im August ein Neustart gewagt. Im Gespräch berichtet Christiane Bernshausen von ihren persönlichen Erfahrungen und darüber, wie sie sich eine optimale Kreis-Vertretung vorstellt.
Frau Bernshausen, sie haben schon in unterschiedlichen Bereichen der kommunalen Selbstvertretung gearbeitet – etwa bei Ihnen im Wohnort Dülmen und auf kreisebene. Was würden Sie sagen: Wie müsste eine Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen für den Kreis Coesfeld aussehen?
Ich denke, die Interessenvertretung müsste vor allem zwei Dinge leisten. Einerseits sollte sie natürlich in den Ausschüssen und im Kreistag vertreten sein.
Andererseits sollte sie als überörtliche Plattform und Anlaufstelle agieren. An sie sollen sich Menschen wenden können, die Informationen zu den unterschiedlichsten Themenbereichen benötigen. Beispielsweise in Fragen, wie man Verbesserungen im Bereich ÖPNV hinbekommt, öffentliche Gebäude barrierefrei (um-)baut oder auch zu rechtlichem Aspekten, wie dem Bundesteilhabegesetz.
Damit würde die Interessenvertretung den jeweiligen örtlichen Aktiven und Vertretungen zuarbeiten?
Genau. Sie könnte als Dach agieren und die Erfahrungen, die in den einzelnen Städten und Gemeinden gesammelt werden, weitergeben und gezielt beraten. Vor allem sollte eine überörtliche Interessenvertretung dabei unterstützen, dass sich vor Ort Strukturen bilden. Denn eine funktionierende Interessenvertretung vor Ort ist das Wichtigste.
Wie sähe hier eine Unterstützung aus?
Das könnte zum Beispiel in Form von Öffentlichkeitsarbeit in den Städten und Gemeinden sein. Besonders da, wo nichts los ist.
Der Kreis Coesfeld umfasst ein relativ großes Gebiet – einwohner- sowie flächentechnisch. Was bräuchte es ganz praktisch, damit eine überörtliche Interessenvertretung effektiv arbeiten könnte?
Es beginnt bei der Anfahrt. Für uns Betroffene ist das meist schon ein Akt. Man sollte ein vernünftiges Angebot schaffen, damit Menschen mit Behinderungen gut zu den jeweiligen Treffpunkten kommen können.
Wichtig finde ich auch, dass es gut formulierte Ziele und Aufgaben gibt. Die Arbeitsstruktur ist wichtig. Der Sinn muss da sein und ein Weg erkennbar. Denn gerade wenn man ehrenamtlich viel Zeit investiert, muss man auch einen Sinn in der eigenen Arbeit erkennen. Und es würde helfen, wenn es hauptamtlich Verantwortliche gäbe, da es so sehr viel leichter wäre, eine Struktur beizubehalten.
Wichtig ist auch, dass alle Informationen barrierefrei bereitgestellt werden. Das hat in den letzten Jahren im Kreis Coesfeld schon sehr gut funktioniert.
Sie sind nun einige Jahre aktiv. Gibt es eine Art Schlüsselerlebnis, das zu Ihrem politischen Engagement geführt hat?
Es hat einmal eine Situation gegeben, da wurde bei uns in Merfeld die Bushaltestelle umgebaut. Die lag dann wochenlang brach. Ich habe immer wieder bei der Stadt angerufen und gesagt: Da muss etwas passieren. Daraufhin kam dann der Rat von der Verwaltung: Ich solle mich dafür politisch einsetzen, damit solche Dinge schneller laufen. Und so habe ich meinen Weg in die Interessenvertretung gefunden. Man muss immer wieder Druck machen, damit etwas passiert. Und bei mir war es schon immer so: Wenn ich merke, etwas ist nicht barrierefrei, möchte ich an dieser Stelle eine Veränderung bewirken. Ich bin also von mir aus aktiv.
Was ist für sie die größte Motivation ihrer Arbeit?
Die größte Motivation ist für mich, wenn ich merke, ich kann anderen Leuten mit Rat und Tat zu einem selbstbestimmteren Leben helfen. Es ist einfach schön, wenn man ein positives Feedback bekommt. Das ist für mich die Motivation in der Selbsthilfe und auch in der Interessensvertretung zu arbeiten.
Trotzdem kann es manchmal sicher auch frustrierend sein, wenn Dinge nicht so schnell oder vielleicht sogar erst einmal gar nicht umgesetzt werden?
Ja, teilweise stößt man da auf ganz schön viel Granit, weil es zum Beispiel manchmal Mehrkosten erzeugt. Aber es ist wichtig, dass wir hartnäckig bleiben. Wir haben das Recht. Das muss gewährleistet sein.
Wie bleiben Sie motiviert?
Man sollte jeden kleinen Fortschritt sehen und bemerken. Viele kleine Schritte führen zum Erfolg. Und ich habe ja auch schon einige Erfolgsprojekte begleitet. Etwa das einsA Dülmen (Intergeneratives Zentrum), wo beim Bau und der Gestaltung das Thema Barrierefreiheit sehr gut einbezogen wurde. Und auch für die Erneuerung des Schwimmbads in Dülmen, das DÜB, wurden wir als örtliche Interessenvertretung in vielen Planungs-Gesprächen im Vorfeld hinzugeholt.
Es ist immer sinnvoll, sich zu engagieren und ich finde, das macht einen persönlich zufriedener. Man muss aber ein Ziel vor Augen haben. Und: Behinderte Menschen und chronisch Erkrankte haben in der Gesellschaft keine Lobby. Deshalb bin ich gerne bereit, mich weiterhin für deren Belange einzusetzen.
Vielen Dank für das Gespräch!