„Ich mache den ersten Schritt“ Annette Runte über ihre Arbeit im Behindertenbeirat der Stadt Gütersloh

04.06.2020

Dieses Interview erscheint im Rahmen der Kampagne „#DeinRatZaehlt!“ und wurde vom Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Detmold geführt.

 

Annette Runte ist 51 Jahre alt und seit 30 Jahren schwerbehindert. Vor fünf Jahren setzte sie sich gemeinsam mit anderen Mitstreiter*innen erfolgreich für die Gründung eines Behindertenbeirats in ihrer Heimatstadt Gütersloh ein. Seitdem ist sie aktives Mitglied und gestaltet so die Politik vor Ort mit. Warum sie das macht, was sie motiviert und auch, was sie manchmal ärgert, hat sie uns in einem Gespräch erzählt.

Porträtfoto von Annette Runte: Sie hat kurze, graue Haare trägt eine markante Brille mit schwarzem Rahmen und ein hellblaues Hemd mit Kragen und kleinen blauen Punkten. Ihr Blick ist offen, sie lächelt.

„Ich mache den ersten Schritt, denn kaum einer holt Menschen mit Behinderung in die Politik oder andere Gremien. Selber muss man den ersten Schritt machen, auf die anderen zugehen und klar machen, dass man sich aktiv beteiligen will. Erst wenn man sich darüber bekannt gemacht hat, wird man vielleicht direkt angesprochen.“ Foto: Westfalen-Blatt, Carsten Borgmeier

Frau Runte, warum ist Ihnen Ihr Engagement im Behindertenbeirat der Stadt Gütersloh wichtig?

Ich engagiere mich in unserem Behindertenbeirat, um meinen Wohnort für Menschen mit Behinderung lebenswerter zu machen. Ich will damit möglichst viele Entscheidungsträger für die Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisieren und bei anstehenden Projekten darauf achten, dass so weit wie eben möglich Barrierefreiheit hergestellt wird.

Wie sind Sie dazu gekommen im Beirat mitzuwirken? Gab es einen bestimmten Auslöser?

Ich habe mich schon bevor es einen Behindertenbeirat vor Ort gab, mit Hinweisen an die Stadt gewandt, wo Barrierefreiheit hergestellt werden muss. Aber als einzelne Bürgerin hat das nicht so das Gewicht. Deshalb habe ich mit dafür gekämpft, dass ein Behindertenbeirat eingerichtet wird, um der Notwendigkeit nach Barrierefreiheit mehr Nachdruck zu verleihen.

Welche Themen werden bei Ihnen im Behindertenbeirat schwerpunktmäßig bearbeitet?

Oft geht es um Barrierefreiheit auf Straßen, Rad- und Fußwegen, bei Bushaltestellen und öffentlich zugänglichen Gebäuden. Es gehört aber auch die allgemeine Sensibilisierung aller Entscheidungsträger für die Belange von Menschen mit Behinderung und natürlich die Beratung von Menschen mit Behinderung dazu.

Gibt es Erlebnisse, die Sie bei Ihrer politischen Arbeit besonders motiviert haben?

Auf jeden Fall die offenen Türen der verschiedenen Fachbereiche der Stadtverwaltung. Dort haben sehr viele ein offenes Ohr für die Belange von Menschen mit Behinderung. Und auch die Erfahrung, dass das Fachwissen des Behindertenbeirates sehr geschätzt und oft von Verwaltungsseite angefordert wird.

Gab es auch Momente, die schwierig waren?

Ja, zum Beispiel wenn man für eine Ausschusssitzung nicht zugelassen wurde, weil man nicht fraktionskonform abstimmen konnte, da die Belange von Menschen mit Behinderung dem entgegenstanden. Oder wenn die Fraktionen sich in keiner Weise bemüht hat, die Menschen mit Behinderung in die Sitzungen einzubinden, weil es vielleicht für die Nichtbehinderten anders und umständlicher ist, als sonst.

Inzwischen werden wir aber eher eingeladen als ausgeschlossen. Außerdem ist in der Satzung des Behindertenbeirates festgelegt, dass wir jederzeit Anträge stellen dürfen. Und die werden auch immer angenommen, sogar, wenn sie etwas spät eingehen. Viele Politiker sehen uns inzwischen als hilfreiche Ergänzung.

 

Wie kann man sich aktuell in Gütersloh eigentlich als Mensch mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen politisch beteiligen?

Das geht im Behindertenbeirat, den Parteien, als sachkundige*r Bürger*in, in Selbsthilfegruppen und Vereinen. Dazu besteht die Möglichkeit, Briefe an die Stadt zu schreiben, in denen man genau begründet, was verändert werden muss und möglichst schon die Lösung mitliefert. Den Behindertenbeirat gibt es seit 2015. Die anderen Möglichkeiten bestehen schon seit vielen Jahrzehnten. Mitglied in einer Partei, einem Gremium, Verein usw. werden, war noch nie das Problem. Aber die aktive Mitarbeit als Mensch mit Behinderung in den politischen Gremien ist heute noch schwierig und häufig nicht erwünscht.

Wie zugänglich ist bei Ihnen die Arbeit in der Kommunalpolitik und speziell in Ihrem Beirat?

Die Verwaltung ist immer sehr bemüht, barrierefreie Räume für Treffen und Sitzungen des Behindertenbeirats zu wählen. Sie gehen auf die Belange der einzelnen Mitglieder so gut wie möglich ein und sind gerne behilflich.

Bei den einzelnen Parteien sieht es schwieriger aus. Die meisten Geschäftsstellen sind nicht barrierefrei. Wenn dann mal Anpassungen vorgenommen werden wie etwa die Bereitstellung einer Rampe oder eines Treppenlifts, werden immer noch nicht die Betroffenen gefragt. Die Ergebnisse sind oft nicht für alle geeignet. Die Bemühung, Menschen mit Behinderung zu inkludieren, sind hier oft nur Worte ohne echte Taten.

Frau Runte sitzt in ihrem Rollstuhl neben einem Stadtbus und drückt gerade auf den Knopf, der die Türen öffnet.

Der Behindertenbeirat arbeitet eng mit dem Fachbereich Stadtplanung und der Stadtbus GmbH zusammen, um den Busverkehr in Gütersloh so barrierefrei wie möglich auszubauen. Ergebnis bislang: Alle Stadtbusse sind Niederflurbusse mit Rampe. Die Neuanschaffungen haben eine zweite Stellfläche für Rollstuhlfahrer und eine weitere Stellfläche für Kinderwagen, damit die Stellfläche für Rollstuhlfahrer frei bleibt. Foto: Westfalen-Blatt, Carsten Borgmeier

 

Frau Runte, angenommen, Sie hätten jetzt drei Wünsche frei, was würden Sie sich in Bezug auf ihre Kommune wünschen?

Zunächst strengere Auflagen für Bauherren und Architekten für barrierefreies Planen und Bauen, damit mehr Wohnraum entsteht, der für Menschen mit Behinderung nicht nur auf dem Papier geeignet ist.

Dann würde ich mir so viel Sensibilität bei den Entscheidungsträgern für die Belange von Menschen mit Behinderung wünschen, dass Barrierefreiheit selbstverständlich ist.

Und als drittes sollten sämtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben mit Behinderung in unserer Stadt möglich ist.

Was denken Sie, könnte helfen, neue Aktive für die Arbeit im Behindertenbeirat zu gewinnen?

Es könnte helfen, die Vorhaben und Erfolge der Beiratsarbeit transparent für alle Bürgerinnen und Bürger zu machen, damit sie sehen, dass es sich lohnt, aktiv mitzumachen. Dazu sollten einzelne Menschen, die sich engagieren wollen, darin bestärkt werden und die Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, wie sie aktiv werden können.

Vor allem müssten aber auch die Politiker*innen immer mehr davon überzeugt werden, dass es für sie hilfreich ist, Menschen mit Behinderung aktiv am politischen Geschehen zu beteiligen.

Außerdem würde es helfen, wenn die Kommunen durch Digitalisierung mehr Barrierefreiheit bieten, wie zum Beispiel Ausschusssitzungen im Internet streamen oder Unterlagen digital und barrierefrei anbieten.

 

Mehr Informationen zur Kampagne gibt es hier: www.deinratzaehlt.de

Text: Dein Rat zählt auf Instagram. Abgebildet ist zudem das Instagram Logo mit einem Kamera-Icon.