„Jede Meinung und jede Kompetenz sind wichtig und jeder kann etwas Hilfreiches beitragen“
Dieses Interview erscheint im Rahmen der Kampagne „#DeinRatZaehlt!“ und wurde vom Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Detmold geführt.
Michael Biesewinkel lebt seit 32 Jahren in seiner Heimatstadt, der Stadt Lübbecke in Nordrhein-Westfalen. Er ist Sozialarbeiter, Diakon und seit seiner Geburt Tetraspastiker. Er hat uns von seinen Erfahrungen als Behindertenbeauftragter und als Vorsitzender des Behindertenbeirats der Stadt Lübbecke berichtet.
Warum und seit wann engagieren Sie sich persönlich?
Ich bin seit 2009 kommunalpolitisch aktiv und war einige Jahre ehrenamtlich Behindertenbeauftragter der Stadt Lübbecke. Mittlerweile bin ich Vorsitzender des örtlichen Behindertenbeirats. Ich bin als Frühchen zur Welt gekommen und habe aufgrund eines Sauerstoffmangels eine beinbetonte Tetraspastik. Geistig bin ich komplett fit und habe früh gemerkt, dass wir uns als Menschen mit verschiedensten Einschränkungen in die Gesellschaft einbringen müssen, sollten und können. Gerade dann, wenn wir nicht wollen das wir in Schubladen gesteckt werden und über uns entschieden wird.
Ich finde zwar, dass die UN-BRK, die Bemühungen der Selbsthilfeorganisationen und mehr ihre Wirkung haben und die selbstverständliche Teilhabe und Partizipation sich in vielen Lebensbereichen verbessert hat, aber je nach regionalen Gegebenheiten ist manchmal noch viel Luft nach oben.
Nichtsdestotrotz: Ich verdanke dem Einsatz meiner Eltern, dass ich zu einer regulären Grundschule gehen durfte und hätte anschließend auf eine Schule für Körperbehinderte gehen sollen. Dass ich stattdessen das Gymnasium besuchen durfte, mein Abitur gemacht und nach einer Ausbildung studiert habe, ist heute zumindest in größeren Teilbereichen selbstverständlicher möglich als früher. Das ist gut so und muss sich weiterentwickeln.
Nicht alle Menschen können sich aufgrund ihrer Einschränkungen selbst umfassend einbringen. Für diese Menschen sollten die Menschen mit weitreichenderen Fähigkeiten Sprachrohr und „Interessensanwalt“ sein. Ich bin das gerne und möchte es noch viele Jahre sein. Dabei habe ich immer das Ziel, die Menschen mit größerem Förderbedarf bestmöglich selbst partizipieren zu lassen.
Welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es in ihrer Kommune in Bezug auf die politische Partizipation von Menschen mit Behinderung?
Zum einen gibt es die Möglichkeit sich in Selbsthilfegruppen zu engagieren und für die Belange der jeweiligen Zielgruppe einzutreten. Das geht seit vielen Jahren. Gleiches gilt für die Beteiligung über eine Partei oder Wählergruppierung. Den Behindertenbeirat als weitere Beteiligungsmöglichkeit gibt es auf örtlicher Ebene in Lübbecke sei 2018.
Welche Themen werden dort schwerpunktmäßig bearbeitet?
Im Behindertenbeirat der Stadt Lübbecke befassen wir uns hauptsächlich mit Themen der Barrierefreiheit. Städtisch berührt vieles das Bauamt. Sei es vollständig barrierefreie Zugänge oder Rampenanlagen oder aber auch die barrierefreie Ausgestaltung des neu bei uns in der Planung befindlichen ZOB´s.
Ein großes Thema ist bei uns aber auch die leichte oder aber auch zumindest einfache Sprache. Hier versuchen wir die Kommunalpolitik und die Stadtverwaltung zu sensibilisieren, dass die Nutzung dieser bei Sitzungen oder bei der Abfassung bestimmter Unterlagen kein hochtrabender Wunsch ist, sondern für manche Menschen unabdingbar nötig, um uneingeschränkt teilhaben zu können. Da sind noch dicke Bretter zu bohren.
Gibt es Erlebnisse, die Sie besonders motiviert haben? Und gibt es auch welche, die Sie vielleicht demotiviert/geärgert haben?
Bisher haben die Kommunalpolitik und Teile der Stadtverwaltung den Mehrwert eines Behindertenbeirats und das Eintreten für selbstverständliche Teilhabe und Selbstbestimmung noch nicht erkannt. Nur durch solche und andere Gremien und Organe der Selbstvertretung ist dem Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ ja auch ganz praktisch entsprochen. Bisher wurden in der gesamten Amtszeit nahezu alle Anliegen und Anregungen auf Ablehnung geprüft. Das zeigt, dass der Beirat nach der Neuwahl nach der Kommunalwahl weiter am Ball bleiben muss. Motivieren tut der Zuspruch der Interessensgruppen, welche wir vertreten. Dieser zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wie zugänglich/barrierefrei ist bei Ihnen die Arbeit in der Kommunalpolitik und speziell in Ihrem Beirat?
Wenn leichte oder zumindest einfache Sprache selbstverständlicher wäre, dann wäre die Beiratsarbeit für einige der Beiratsmitglieder leichter zu bewerkstelligen und sie könnten sich besser einbringen.
In den Sitzungen des Beirats haben einige der Mitglieder Assistenzen. Diese Assistenzen müssten ihre Personen engmaschiger begleiten. Sie müssten z.B. schon vor der Sitzung persönlich klären, ob sie etwas in der Beiratssitzung ansprechen möchten. Da es aber keine Finanzierung für so eine umfassende Assistenz gibt, gibt es keine optimale Vor- oder Nachbereitung für diese Mitglieder. Bei Interesse und Einigkeit aller Beteiligten könnte man hier bessere Lösungen schaffen und die zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen entsprechend anpassen.
Wenn Sie jetzt 3 Wünsche frei hätten, was würden Sie sich in Bezug auf ihre Kommune wünschen?
Ein selbstverständlicheres Interesse an Themen und Entscheidungen rund um das Thema Inklusion und Behinderung in all seinen Facetten der Entscheidungsträger.
Eine bessere Zusammenarbeit des Behindertenbeirats mit der Stadtverwaltung und der Kommunalpolitik. Insbesondere auf Augenhöhe. Im Moment prüfen die Entscheidungsträger vieles automatisch auf Ablehnung.
Was könnte helfen, neue Aktive zu gewinnen? Und was würden sie interessierten Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, die sich gerne in der Kommunalpolitik engagieren möchten, empfehlen?
Wenn das Gefühl entstehen würde, dass kommunalpolitische Teilhabe und Interessenbekundung seitens der Entscheidungsträger gewünscht und in der heutigen Zeit selbstverständlich wären, dann würde das sicher mehr Menschen motivieren aktiv zu werden.
Es müsste ein selbstverständliches Interesse an den Themen rund um Behinderung und Teilhabe geben, sodass die Gremien und Aktiven als Bereicherung verstanden würden.
Menschen mit Behinderungen kann ich nur raten sich trotzdem einzubringen. Jede Meinung und jede Kompetenz sind wichtig und jeder kann etwas Hilfreiches beitragen. Nur so können Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion auf allen Ebenen selbstverständlich werden.