Unsere Mitglieder sind sehr verschieden, das ist unsere Stärke – Das Forum für Menschen mit Behinderung in Herzogenrath
Dieses Interview erscheint im Rahmen der Kampagne „#DeinRatZaehlt!“ und wurde vom Projekt „Politische Partizipation Passgenau!“ geführt.
Vor wenigen Tagen feierte das Forum für Menschen mit Behinderung in Herzogenrath sein 25-Jähriges Jubiläum. Ursprünglich wurde es als Initiative von Angehörigen behinderter Menschen gegründet, um sich besser für ihre Kinder einzusetzen. Heute ist es thematisch noch breiter aufgestellt. Das Forum berät und unterstützt Menschen mit unterschiedlichen Behinderung in unterschiedlichen Lebenskontexten. Und es setzt sich politisch für sie ein. Wie genau und was für die Zukunft geplant ist, berichten die Sprecherinnen Sabine Früke und Maggy Heggen uns im Gespräch.
Frau Früke, wie können wir uns die Arbeit des Forums für Menschen mit Behinderung vorstellen?
Sabine Früke: Das Forum ist sehr vielfältig aufgestellt. Hauptsächlich setzen wir uns für Barrierefreiheit ein. Wir konnten schon in vielen Bereichen beraten und sensibilisieren. So etwa bei der Gestaltung des Straßenraums oder von öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen. Auch ein gutes Beispiel: Wir haben in Zusammenarbeit mit der Stadt eine Übersicht über barrierefreie Wohnungen in Herzogenrath und ihre Bauherren herausgegeben. Zusätzlich bieten wir Zugang zu Beratungs- und Teilhabeangeboten. Seit letztem Jahr bieten wir persönliche Beratung im Rathaus und eine Infoline an. Eine weitere große Aufgabe ist die Organisation des grenzüberschreitenden EURODE Rollstuhlwandertages. Ab und zu bieten wir auch Tagesfahrten zu bestimmten Events an.
Das klingt wirklich nach einer Menge Arbeit. Wer engagiert sich bei Ihnen?
Sabine Früke: Mittlerweile sind wir so gesehen eine Selbstvertretung. Alle ehrenamtlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind von Behinderung betroffen mit Ausnahme derjenigen aus den Fraktionen. Wir achten dabei darauf, dass möglichst viele Arten von Behinderung vertreten sind.
Maggy Heggen: Um es genauer zu sagen: Zu uns gehören Sehbehinderte und blinde Menschen genauso wie Lungenkranke (COPD), Parkinson- und Multiple Sklerose-Patienten sowie Menschen mit Aneurisma und halbseitiger Lähmung, Amputation infolge von Diabetes, Becker-Duchêne-Erkrankung, Polymyositis, ALS (Amyotrophe Lateral Sklerose), aber auch Hörschädigung und psychische Erkrankungen sind dabei. Damit sind viele Arten unterschiedlicher Behinderung bereits vertreten. Und wir hoffen darauf, dass sich noch viele weitere behinderte Menschen anschließen.
Das Forum ist neben der Beratung und Unterstützung von Menschen mit Behinderung auch politisch aktiv. Wie sieht Ihre Arbeit in diesem Bereich genau aus?
Sabine Früke: Wir leisten im Prinzip die klassische Beiratsarbeit, indem wir in den Ausschüssen des Stadtrates für Gesundheit und Soziales, Bau und Verkehr, Umwelt und Planung sowie für Bildung, Sport und Kultur vertreten sind. Daneben entsenden wir eine Mitarbeiterin in den Seniorenbeirat. Unsere Mitarbeit ist dabei beratend, wir haben leider kein Stimmrecht.
Letzteres möchten wir ändern. Wir wollen also in Zukunft auch einen Beirat hier in Herzogenrath haben.
Wie haben Sie bisher die Zusammenarbeit mit der Verwaltung erlebt?
Sabine Früke: Wir verfügen über eine sehr gute Anbindung zur Verwaltung mit unserem Bürgermeister und dem Referenten, dem auch unter anderem das Ordnungsamt, die Bürgerdienste sowie das Sozialamt unterstehen. Auch mit dem Dezernat, das für Stadtplanung, Verkehr und Bauen zuständig ist, haben wir recht viel zu tun, weil die Baumaßnahmen möglichst alle barrierefrei sein sollen. Die Zusammenarbeit hier ist sehr nett und intensiv und wir sind bereits in Planungsmaßnahmen eingebunden. Unser Hauptansprechpartner ist allerdings der Leiter des Sozialamtes, der uns Ehrenamtliche nach Kräften unterstützt.
Maggy Heggen: Das Grünflächenamt nimmt mit uns ein oder zwei Mal jährlich Begehungen im Broichbachtal vor. So kann man vor Ort anfallende Probleme am besten klären und besprechen.
Ist der Kontakt zur Politik auch so eng?
Sabine Früke: Die Fraktionen sind in unseren quartalsweisen Treffen stets vertreten und unterstützen unsere Bemühungen. Diese Zusammenarbeit könnten wir aber noch weiter intensivieren, insbesondere um weitere Vorhaben umzusetzen.
Gibt es „Erfolgsprojekte“, die das Forum begleitet oder durchgeführt hat?
Sabine Früke: Aktuelle Erfolgsprojekte sind sicherlich die Einflussnahme auf die Planung des neuen barrierefreien Schwimmbades, die aktuellen Bordsteinabsenkungen im Stadtgebiet, der Aufbau der ehrenamtlichen Beratung für Behinderte und deren Angehörige sowie die seit 1997 bestehende Organisation des grenzüberschreitenden EURODE-Rollstuhlwandertages, zu dem rund 200 Menschen, davon rund 100 Rollstuhlfahrer*innen, alljährlich im Wechsel zwischen Herzogenrath und Kerkrade in den Niederlanden kommen.
Maggy Heggen: Gesellschaftlich wie politisch haben wir in Herzogenrath und Kerkrade mit dem EURODE Zweckverband unseren Weg in ein gemeinsames Europa gefunden. Täglicher Austausch festigt die beiden Städte in der Euregio. Die Vernetzung in den Bereichen Bildung, Kultur, Ordnungs- und Rettungswesen stärkt beide Städte. Und Aktionstage wie etwa der Rollstuhlwandertag rücken natürlich hier auch das Thema Inklusion ins Blickfeld.
Was würden Sie sagen, läuft im Bereich Kommunalpolitik eventuell noch nicht so gut. Wo könnte nachgebessert werden?
Sabine Früke: „In der Kommunalpolitik wird die Barrierefreiheit meist reduziert auf die Belange von Rollstuhlfahrern und Rollatoren, hier möchten wir den Blick schärfen für andere Behinderungen. Dabei hilft uns die Verschiedenartigkeit unserer Mitwirkenden.
Außerdem werden meist die Vorgaben aus den Gesetzen nicht eingehalten, weil sie einfach nicht bekannt genug sind. Wir beziehen daher unsere Informationen bei Baumaßnahmen von der Agentur Barrierefrei und fahren sehr gut damit.
Wir könnten mit den Fraktionen noch intensiver zusammenarbeiten, um bestimmte Dinge besser und frühzeitiger umzusetzen. Sind die Themen einmal im Ausschuss, ist es häufig schon recht knapp für Änderungen. Wir brauchen die Mitbestimmung in der Planungsphase und die frühzeitige Beteiligung. Dazu gehört auch ein Stimmrecht und eine gültige Zielvereinbarung, die von beiden Seiten akzeptiert ist.
Daneben sind wir ganz viel auf Mitwirkung angewiesen, denn die politischen und gewählten Vertreter*innen unserer Kommune haben uns dort eingebracht, damit wir gute Ideen und Fachkenntnisse beitragen. Hier benötigen wir mehr kostenfreie Schulungen in den Themen Barrierefreiheit für die Bauprojekte und Sozialgesetzbücher wegen der persönlichen und telefonischen Beratung Behinderter.
Maggy Heggen: Wir würden uns auch wünschen, dass wir für Beratungen größere Räumlichkeiten nutzen können, da bereits unser Lotse für Menschen mit Behinderung im Rollstuhl sitzt und schon ein zweiter Rollstuhl – auch unter Corona-Bedingungen – nicht passt. Auch für unsere Mitgliedertreffen einmal im Quartal wünschen wir uns großzügige Räumlichkeiten, da bis zu zehn Rollstuhlfahrer*innen daran teilnehmen.
Wir würden auch gerne die Hilfe Nicht-Behinderter annehmen, um bestimmte Dinge besser umsetzen zu können, etwa beim Standaufbau einer Messe, Zuwachs in unserem Organisationsteam für den Rollstuhlwandertag oder eine Fahrt zur Rehacare.
Ist es wichtig, dass sich Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen selbst in die Politik einbringen?
Maggy Heggen: „Natürlich ist das wichtig, weil sie am besten ihre Interessen vertreten und genau wissen, was ein Mensch mit Behinderung benötigt.“
Sabine Früke: „Ja, unbedingt. Nur sie können offenbaren, worin ihre Hauptschwierigkeiten bestehen und den Finger in die Wunde legen. Allerdings brauchen sie hartnäckige Unterstützung, damit die Wünsche und Hoffnungen nachhaltig in die Tat umgesetzt werden.
Wir sind in der glücklichen Lage, den Lotsen für Menschen mit Behinderung der Städteregion Aachen in unseren Reihen zu haben, stellen aber für die Zukunft fest, dass hierfür keine Nachfolge in Sicht ist, da derzeit nicht ausgebildet wird. Wir würden uns freuen, wenn die LAG SELBSTHILFE NRW weitere Lots*innen ausbilden würde.
Was würden Sie Menschen, die sich in der Kommunalpolitik einbringen wollen, empfehlen?
Sabine Früke: Mit offenen Augen und Ohren zunächst einmal an öffentlichen Ausschuss-Sitzungen teilnehmen und dann entscheiden, ob man sich einem Jugend-, Senioren- oder Behindertenbeirat anschließen möchte oder gar in eine Partei eintritt.
Maggy Heggen: Gehen Sie auf die Veranstaltungen politischer Akteur*innen und fragen Sie nach den Zielen der einzelnen Parteien. Damit lässt sich am besten eine eigene Meinung bilden, welche Interessen die Parteien vertreten.
Was motiviert Sie?
Maggy Heggen: Eigene Erfahrungen aus meiner Behinderung mit Behörden gebe ich gerne weiter und lerne selbstständig neue Dinge von anderen – ein gegenseitiges Geben und Nehmen, ein reger Informationsaustausch.
Sabine Früke: „Mich motiviert die Arbeit mit Menschen. Gesundheitsbedingt wurde ich auf diese lebensbejahende, beratende Aufgabe in der Stadt Herzogenrath aufmerksam. Damit habe ich eine interessante, vielseitige, helfende Aufgabe mit abwechslungsreichen Tätigkeiten. Bisher hatte ich immer viel mit Menschen zu tun und möchte dies auch beibehalten. Daneben motiviert mich stete Veränderung und natürlich der Fortschritt in Sachen Barrierefreiheit in meiner Stadt.
Welche Ziele haben Sie persönlich?
Maggy Heggen: „Gutes tun und darüber sprechen.“
Sabine Früke: „Als Betroffene möchte ich möglichst gesund bleiben und meine Fähigkeiten erhalten bzw. ausbauen, aber ich möchte auch für andere von Nutzen sein und durch mein Wirken meine nächste Umgebung ein kleines bisschen besser machen.